„Zukunftspakt Mobilität in der Region Stuttgart“ – Utopie und Lebenswirklichkeit

Auf Initiative von Landesverkehrsministers Hermann wurde in einer Auftaktveranstaltung am 11.9.2020 der Prozess zum „Zukunftspakt Mobilität in der Region Stuttgart“ eröffnet. Mittlerweile liegt das Ergebnis der 5 Arbeitsgruppen, die sich unter der Federführung des Ministeriums aus unbekannten „Experten“ zusammensetzen, vor. Es soll bei einem „Mobilitätsgipfel“ im Frühsommer von allen Beteiligten verabschiedet werden.

Grundsätzlich unterstützen wir Freien Wähler eine solche Initiative zur Begleitung eines neuen Mobilitäts-Bewusstseins. Aber schon damals hat die Regionalfraktion Zweifel an der Verbindlichkeit eines solchen Paktes angemeldet und in einem Antrag an die Regionalversammlung verlangt sicherzustellen, „dass die regionale Selbstverwaltung in diesem Prozess und in einer möglichen Umsetzung des Mobilitätspakts gewahrt bleibt“.

Unsere Befürchtungen, dass darauf und auf den in einem breit angelegten Beteiligungsverfahren verabschiedeten Regionalverkehrsplan keine Rücksicht genommen wird, haben sich nach Vorliegen des Ergebnisses voll bestätigt.

Das Papier strotzt vor Binsenweisheiten und Utopien und lässt wichtige Bedürfnisse der Mobilität im Bereich des Individualverkehrs völlig außer Acht.

  • So wird u.a. vorgeschlagen, 100 Ortsmitten in der Region verkehrsberuhigt umzugestalten und Verkehrsflächen umzuverteilen, als ob dieses Thema nicht längst zum Standardprogramm in jedem Gemeinderat gehören würde.
  • Die „Qualität des Öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) soll verdoppelt“ und mittels Einführung eine „umlagefinanzierten ÖPNV“ mit neuen Finanzierungsinstrumenten ausgestattet werden (Mobilitätspass). Hier wird schlicht eine City-Maut dargestellt und mit erheblich negativen Effekten auf soziale und wirtschaftliche Belange gespielt. Das ist nichts anderes als die Begründung neuer Abgabeverpflichtungen der Bürgerinnen und Bürger. Von der dazu notwendigen Mittelbereitstellung des Landes ist nicht die Rede.
  • Zur Luftreinhaltung wird nur von „Verkehrsvermeidung“ und „Verlagerung“ gesprochen. Wohin die verlagerten Verkehrsströme gehen sollen, bleibt völlig offen. Der ÖPNV ist, jedenfalls zu Nicht-Corona-Zeiten, an der absoluten Kapazitätsgrenze angelangt. Straßenneubau findet nicht statt (nur „Ausbau“), die Belange des motorisierten Individualverkehrs (MIV), bei dem heute und in Zukunft nachweislich die meisten Fahrten stattfinden, bleiben unerwähnt. Die volkswirtschaftlichen und sozialen Kosten, sowie Einbußen und Einschränkungen der Lebens- und Wirtschaftsqualität bleiben unberücksichtigt.
    Baden-Württemberg ist wie kein anderes Bundesland von der Automobilwirtschaft geprägt. „Genauso fehlt völlig ein Ansatz zur Förderung einer Vielfalt klimaneutraler Antriebe, zu dem auch der Verbrennungsmotor gehört, sofern er mit green fuels betrieben wird, die aus regenerativer Energie hergestellt werden. Die alleinige Fokussierung auf Elektromobilität und zusätzliche Ladeinfrastruktur ist nicht ausreichend,“ verweist Fraktionsvorsitzender Oberbürgermeister Andreas Hesky auf die Bedeutung der Automobilwirtschaft im Land mit ihren Hunderttausenden von Arbeitsplätzen. Hier würden Autos mit dem weltweit höchsten Umweltstandard hergestellt.
  • Die Binsenweisheit, bei der Citylogistik „durch eine Verlagerung von höher emittierenden Verkehrsmitteln (Lkw, Pkw, Flugzeug) auf weniger emittierende Verkehrsmittel (Bahn, Bus, Fahrrad, Gehen), lässt sich eine CO 2 –Reduktion erreichen“ ohne auf die praktischen und wirtschaftlichen Folgen hinzuweisen, rundet das Bild einer unausgewogenen, ideologisierten Betrachtungsweise ab.

Klimaschutz und Mobilität dürfen keine Gegensätze werden
„Zusammenfassend bleibt festzustellen, Klimaschutzziele, die Verkehrswende und die Bedürfnisse nach Mobilität in der Gesellschaft und der Wirtschaft lassen sich mit Verboten, Einschränkungen und neuen Belastungen der Bürger und allein durch den ÖPNV nicht erreichen. Dazu ist in erster Linie ein gesellschaftlicher Konsens herzustellen. Das Arbeitspapier ist unausgewogen, schieflastig und entspricht in weiten Teilen nicht dem politischen Willen der Regionalversammlung,“ unterstreicht Regionalrat Landrat a.D. Bernhard Maier, der Sprecher der Fraktion im Verkehrsausschuss. Dieser sei in dem in mehrjähriger Arbeit unter Beteiligung der Städte und Gemeinden erstellten Regionalverkehrsplan zum Ausdruck gebracht worden.

Dadurch wurde sichergestellt, dass örtliche Anliegen, z.B. Bedarf an Umgehungslösungen, berücksichtigt wurden. Sollte sich dabei auf Grund geänderter Rahmenbedingungen ein Fortschreibungsbedarf ergeben, wird die Regionalversammlung die notwendigen Schritte dazu einleiten. Eine Beteiligung an einer „Gipfelerklärung“ auf der Basis des vorliegenden Arbeitspapiers des Ministeriums wird seitens der Regionalfraktion abgelehnt.

Kommunen und die Wirtschaft sind gefragt
Die Städte und Gemeinden, aber auch die Wirtschaft, sind aufgefordert, bis 3. März 2021 Stellung zu nehmen. Es ist nicht auszuschließen, dass eine in einem „Mobilitätsgipfel“ verabschiedete Erklärung, z.B. in einem Verfahren zur Förderung lokaler Verkehrsinfrastrukturprojekte, erhebliche Wirkung erzielt. Die Region braucht eine umsetzbare Strategie für nachhaltige Mobilität im ÖPNV und im Individualverkehr, zu dem Radwege, Fußwege, aber auch Straßen gehören.

Es ist leider zu befürchten, dass – wie schon in der Vergangenheit – Mittel nicht für alle Mobilitätsformen angemessen bereitgestellt werden und notwendige Straßenbauprojekte wieder unter die Räder kommen.

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